Vertraulich.
Herr Außenminister,
in Fortsetzung meiner ergebensten Berichte Nr. LXXVIII [78] vom 22. Juli, Nr. LXXXVII [87] vom 31. Juli und Nr. IC [99] vom 18. August habe ich die Ehre zu melden, dass die Armenierverfolgungen hier mit großer Heftigkeit fortgesetzt werden, trotz der Versprechungen der hiesigen Regierung, von welchen ich bereits berichtet habe.
Beim Empfang am Montag, den 16. August, brachte der deutsche Botschafter diese Verfolgungen gegenüber dem Großwesir wieder zur Sprache, und bat ihn darum, seine Regierung dazu zu bewegen, sie einzustellen, - besonders was die armenischen Katholiken anbelangt, die niemals an Revolutionen teilgenommen oder sich in Politik eingemischt hatten, und die dessen ungeachtet Gegenstand der hartnäckigsten Verfolgungen sind.
Sogar die gregorianischen Armenier, die in hohem Maß von allen nationalistischen Ideen Abstand genommen und sogar auf ihre Muttersprache verzichtet haben und die türkische Sprache wie deren eigene angenommen haben, werden verfolgt.
Die Versprechen, die der Großwesir dem deutschen Botschafter gab, wurden nicht eingehalten, und als die Verfolgungen und Morde weitergingen, wandte sich Seine Heiligkeit Monseigneur Paul Pierre XIII, der armenisch-katholische Patriarch, an den hiesigen spanischen Gesandten und bat ihn im Namen des katholischen Spanien, durch eine abermalige Eingabe an den Großwesir zu erwirken, dass zumindest die Sicherheit der katholischen Armenier respektiert würde.
Der spanische Gesandte stimmte zu und erhob beim Empfang am Montag mit den Worten des Patriarchen Einwendungen gegenüber dem Großwesir. Er erzählte mir, dass Seine Hoheit, nachdem er zugehört hatte, sich überrascht zeigte über die Geschehnisse, und dass er, als der Gesandte mit Nachdruck behauptete, Beweise dafür zu haben, dass die erwähnten Grausamkeiten wirklich stattgefunden hatten, es zur Kenntnis nahm und versprach, sofort den Befehl zu erteilen, die katholischen Armenier zu verschonen.
Sowohl der spanische Gesandte als auch der Patriarch sind jedoch davon überzeugt, dass diese fürchterlichen Verfolgungen nicht aufhören werden, u. a. weil die Zentralregierung gegenüber den Behörden in den Provinzen keine Autorität hat, weil diese, wenn es ihnen nicht passt, den Befehlen aus Konstantinopel nicht nachkommen, und - last not least - weil die Deutschen ihrer Meinung nach in Wirklichkeit nur der Form halber gegen die Verfolgungen und Morde protestieren.
Es ist offensichtlich, sagen sie, dass die Deutschen an der Ausrottung der Armenier interessiert sind und dass die Griechen flüchten aus Angst, es könne ihnen ebenso ergehen, so dass sie (die Deutschen) sich ohne Mühe des türkischen Handels bemächtigen können und die einzigen Europäer sind, die hier Fuß gefasst haben.
Die Behörden in den Provinzen und die Jungtürken, sagen sie, sehen deshalb die Eingabe des deutschen Botschafters an die Regierung als nicht ernsthaft an.
Ich darf mir erlauben, in Kürze die wichtigen und traurigen Berichte über die neuesten Geschehnisse, die mir von völlig zuverlässiger Quelle zugetragen wurden, zusammenzufassen. Sie sind von einer solchen Beschaffenheit, dass sie überall in der christlichen Welt Bestürzung hervorrufen werden.
Die Türken führen mit aller Macht ihr grausames Ziel durch, das armenische Volk auszumerzen.
In Brussa haben sie die gut betuchten Armenier dazu gezwungen, der Polizei 300 türkische Pfund (ca. 5.000,- dkr) pro Person zu bezahlen, um in der Stadt bleiben zu dürfen, und doch wurden sie am Tag danach mit ihren Frauen und Kindern ausgewiesen.
Wo diese unglücklichen Menschen sich jetzt befinden und welchem Schicksal sie ausgesetzt gewesen sind, nachdem sie ihr Heim verlassen mussten, erfahren selbst die nächsten Angehörigen nicht.
In Adana hat der Gouverneur eine Proklamation aushängen lassen, die ich in einer Übersetzung auf Französisch vom Patriarchen bekommen habe, und die lautet:
1) Bis zum Monatsende müssen die Armenier der Stadt Adana sukzessive und in Gruppen fortgeschickt sein.
2) Die Besitzer der in Mersina und Adana befindlichen Fabriken sowie diejenigen ihrer Angestellten, die für das Militär-Department arbeiten, werden [von dieser Maßnahme] im Moment ausgenommen: sie brauchen nicht abzureisen und arbeiten weiterhin wie zuvor.
3) Die Familien, deren Ehemänner sich im Militärdienst befinden oder deren Unterhalt davon abhängt, werden nicht verschickt.
4) Alle müssen von heute an ihre Angelegenheiten in Ordnung bringen und sich bereit halten, auf Befehl die Eisenbahn zu besteigen.
5) Es wird keiner Ausflucht stattgegeben, die auf eine Verlängerung der Frist oder andere Hinderungsgründe zielen.
6) Die Abreise geschieht wohnviertelweise.
7) Jeder Familie ist nur die Mitnahme von jeweils 150 Kilo Mobiliar erlaubt.
8) Für Familien mit mehr als 6 Mitgliedern, groß oder klein, dürfen 200 Kilogramm Mobiliar mitgenommen werden.
9) Die muslimische Bevölkerung des Ortes oder Stadtviertels muß für die Transportmittel der Verschickung sorgen.
10) Die für die Beschaffung der Transportmittel ernannte Kommission hat ihre Arbeit bereits aufgenommen.
11) Die Familien, die sich ihre Transportmittel selbst beschaffen, dürfen auf Grund von Papieren, die ihnen von den Polizeikommissaren ausgehändigt werden, sich direkt nach Badju oder Aleppo begeben.
12) Per Zug, der am Sonnabend 15. des Monats bereit steht, werden die Wohnviertel Akdjé, Nesjid, Saradjen, Kharab, Bagtché, Tchoukour, Kassab Bekir, Yarbachi, Tcinanli et Karan verschickt.
13) Vom morgigen Tag an muss sich die Bevölkerung dieser Wohnviertel an die Einschreibungskommission wenden, die unter der Präsidentschaft von Adil Bey im Polizeikommissariat einrichtet worden ist. Nachdem sie sich einschreiben ließ, muss sie einen versiegelten und beglaubigten Brief in Empfang nehmen.
14) Personen, die nach Feststellung ihrer Personalien oder der Anzahl der Einwohner dieser Viertel und die sich derzeit woanders aufhalten, werden nicht nach dem derzeitigen Aufenthaltsort erfasst, sondern müssen sich mit den Einwohnern ihres Wohnviertels registrieren lassen und am gleichen Tag wie die Einwohner dieses Viertels zusammen mit ihnen abreisen.
15) Für den Abtransport sowohl der Soldaten-Familien als auch jener Personen, die aus anderen Wohnvierteln stammen, gilt für die Erfassung die Eintragung ihrer Personalien.
16) Alle Vorgänge, die nicht durch Einschreibung erfasst worden sind, werden nicht berücksichtigt.
17) Die Bevölkerung dieser Wohnviertel muss sich am besagten Tag um 12 Uhr türkischer Zeit mit ihrem Gepäck nach Maßgabe des Artikels 7 mit ihren Familienmitgliedern am Neuen Bahnhof einfinden.
18) Man wird sich nach Aleppo über die Strecke Osmanieh-Radjou begeben.
19) Eine nach Osmanieh abgesandte Sonderkommission wird nach Vorlage der Papiere und entsprechend dem Artikel 13 im Rahmen ihrer Möglichkeiten Transportmittel zur Verfügung stellen und die Verschickung nach Gruppen organisieren.
20) Bei der Ankunft wird die genannte Kommission schnell für die Unterbringung und das Wohlbefinden der Gruppen sorgen. Jedes Wohnviertel soll sich deshalb über ihren jeweiligen Muhtar an die genannte Kommission wenden.
21) Bei den angestellten Personen, über deren Aufenthalt entschieden worden ist, bevor sie den Büros der Polizei und der Gendarmerie gemeldet wurden, wird von den genannten Büros über ihre Absonderung und ihre Beibehaltung entscheiden.
22) Über ihre Beibehaltung werden dort den so dispensierten Personen von der Polizeidirektion ordentliche und legalisierte Papiere ausgehändigt.
23) Sollten sich unter der gemeldeten Bevölkerung der Wohnviertel Personen befinden, die sich von morgen an nicht anmelden und sich nicht einschreiben oder die sich nicht zur Abfahrt am 15. des Monats zur angegebenen Stunde am Neuen Bahnhof einfinden oder die versuchen, sich mit List und Vorwänden zu entziehen, so sind die Muhtars und der Ältestenrat verpflichtet, dies den Behörden anzuzeigen. Wenn die Einwohner oder der Muhtar dagegen verstoßen, dann werden sie als solche betrachtet, die gegen die Militärbehörden und den Einberufungsbefehl des Staates verstoßen und werden sofort vor ein Militärgericht gestellt, das innerhalb von 24 Stunden ein Urteil gegen sie ausspricht und exekutiert.
24) Es sind an alle Büros die formellen Befehle erteilt worden. Es ist besser, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen als Zeit mit Vorwänden zu verlieren oder unnötige Eingaben zu machen.
August 1915
Derselbe Prälat berichtete am 17. Juli diesen Jahres, dass er selbst ebenfalls gezwungen worden war, sich an einen unbestimmten Ort zu begeben. Seitdem ist nichts mehr von ihm gehört worden.
Der frühere Bischof desselben Bezirks, Monseigneur Ketchourian, begab sich gleichzeitig auf eine Reise nach Konstantinopel, verschwand aber unterwegs.
Der Bischof in Karput [Harput; Kharpert], Monseigneur Israëlian, meldete am 23. Juni dem Patriarchat, er habe den Befehl erhalten, innerhalb von 48 Stunden mit seiner gesamten Pfarrgemeinde die Stadt zu verlassen, um sich nach Aleppo zu begeben. Später wurde bekannt, dass dieser Bischof und alle Geistlichen, die ihn begleiteten, zwischen Diarbekir und Urfa überfallen und getötet wurden an einem Ort, an dem auch ca. 1700 armenische Familien das gleiche Schicksal erlitten hatten.
Die gesamte Bevölkerung der genannten Gemeinde muss als verloren betrachtet werden.
Die Bevölkerung in den Pfarrgemeinden Diarbekir und Malatia ist ebenfalls aus ihren Dörfern vertrieben worden, und niemand weiß, was aus den Bischöfen Tchélébian und Khatchadourian und deren Gemeinden geworden ist.
Auch ist die traurige Nachricht bestätigt worden, dass der Erzbischof von Mardin, Monseigneur Maloyan, und ca. 700 Katholiken seiner Gemeinde getötet worden sind, und dass die Bevölkerung in der Stadt Tallermen, die ausschließlich katholisch war, völlig ausgerottet worden ist.
Es gibt keine Nachrichten darüber, was aus dem Bischof in Mouch, Monseigneur Topuzian, und seiner Gemeinde geworden ist, aber man hat Grund anzunehmen, dass auch sie umgebracht worden sind.
Man befürchtet, dass den Geistlichen der Gemeinde Gurin das gleiche Schicksal widerfahren ist.
In der Gemeinde Sivas ist nur das Dorf Pirkinik verschont worden, wo der Erzbischof, Monseigneur Ketchedjian, Zuflucht gesucht hat. Er und ein ihn begleitender Geistlicher sind die einzigen Überlebenden.
Trebisond, Samson, [unlesbar], Marsivan und Amassia sind vollständig evakuiert worden, und es ist unbekannt, was aus den 47 Geistlichen dieser Städte geworden ist.
Tarsus, Hedzin und Mersina haben dasselbe Schicksal erlitten.
In Angora sind alle Männer aus der Stadt geführt worden, und die Frauen wurden gezwungen sich mit Muslimen zu verheiraten; ca. 6000 Männer, ca. 70 Geistliche und der Bischof, Monseigneur Grégoire Bahaban, wurden auf dem Weg zu dem Ort ihrer Verbannung erschossen.
In der Stadt Ismid hat die Regierung den Befehl erteilt, dass die nach Eskicheir verbannten armenischen Katholiken in ihre Heimat zurückkehren dürften, aber der Gouverneur wollte sie nicht in die Stadt lassen und schickte sie zurück. Dasselbe geschah an anderen Orten.
Selbst hier in Konstantinopel schickt man Armenier nach Asien, ohne dass es möglich ist zu erfahren, wo sie geblieben sind.
Das Patriarchat hat ausgerechnet, dass die Hälfte der armenisch-katholischen Hierarchie verloren gegangen ist; 7 Bischöfe, ca. 100 Pfarrer, 70 andere Geistliche und Tausende und Abertausende ihrer Gemeinden sind verschwunden.
Die Pfarrgemeinden bestanden früher aus 16 Bezirken (Konstantinopel, Mardin, Diarbekir, Karput, Malatia, Sivas-Tokat, Mouch [Musch], Erzerum, Trebisond [Trapezunt], Angora, Césarée [Kaisarie], Brussa, Adana, Marasch, Aleppo und Alexandrie [Alexandrette]), und von diesen sind nach den letzten Informationen, abgesehen von Konstantinopel, nur Marasch, Aleppo und Césarée bis jetzt verschont geblieben.
Das Schicksal, das die katholischen Armenier ereilt hat, ist mit noch größerer Grausamkeit allen anderen Armeniern widerfahren, da es das Ziel der Regierung ist, wie ich bereits die Ehre hatte zu berichten, das armenische Volk vollständig auszurotten.
Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster