1915-09-04-DK-001
Deutsch :: da de en
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1915-09-04-DK-001
Quelle: DK/RA-UM/Gruppeordnede sager 1909-1945. 139. D. 1,
”Tyrkiet - Indre Forhold”. Pakke 1, til 31 dec. 1916

Erste Internetveröffentlichung: 2010 August
Edition: Dänische diplomatische Quellen
Telegramm-Abgang: 09/04/1915
Telegramm-Ankunft: 09/20/1915
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 113
Übersetzung: Michael Willadsen
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/02/2012


Der Gesandte in Konstantinopel (Carl Ellis Wandel) an den Außenminister (Erik Scavenius)

Bericht


Konstantinopel, 4. September 1915.

Nr. 113

Vertraulich.

Herr Außenminister,

in Fortsetzung meiner ergebensten Berichte Nr. LXXVIII [78] vom 22. Juli, Nr. LXXXVII [87] vom 31. Juli und Nr. IC [99] vom 18. August habe ich die Ehre zu melden, dass die Armenierverfolgungen hier mit großer Heftigkeit fortgesetzt werden, trotz der Versprechungen der hiesigen Regierung, von welchen ich bereits berichtet habe.

Beim Empfang am Montag, den 16. August, brachte der deutsche Botschafter diese Verfolgungen gegenüber dem Großwesir wieder zur Sprache, und bat ihn darum, seine Regierung dazu zu bewegen, sie einzustellen, - besonders was die armenischen Katholiken anbelangt, die niemals an Revolutionen teilgenommen oder sich in Politik eingemischt hatten, und die dessen ungeachtet Gegenstand der hartnäckigsten Verfolgungen sind.

Sogar die gregorianischen Armenier, die in hohem Maß von allen nationalistischen Ideen Abstand genommen und sogar auf ihre Muttersprache verzichtet haben und die türkische Sprache wie deren eigene angenommen haben, werden verfolgt.

Die Versprechen, die der Großwesir dem deutschen Botschafter gab, wurden nicht eingehalten, und als die Verfolgungen und Morde weitergingen, wandte sich Seine Heiligkeit Monseigneur Paul Pierre XIII, der armenisch-katholische Patriarch, an den hiesigen spanischen Gesandten und bat ihn im Namen des katholischen Spanien, durch eine abermalige Eingabe an den Großwesir zu erwirken, dass zumindest die Sicherheit der katholischen Armenier respektiert würde.

Der spanische Gesandte stimmte zu und erhob beim Empfang am Montag mit den Worten des Patriarchen Einwendungen gegenüber dem Großwesir. Er erzählte mir, dass Seine Hoheit, nachdem er zugehört hatte, sich überrascht zeigte über die Geschehnisse, und dass er, als der Gesandte mit Nachdruck behauptete, Beweise dafür zu haben, dass die erwähnten Grausamkeiten wirklich stattgefunden hatten, es zur Kenntnis nahm und versprach, sofort den Befehl zu erteilen, die katholischen Armenier zu verschonen.

Sowohl der spanische Gesandte als auch der Patriarch sind jedoch davon überzeugt, dass diese fürchterlichen Verfolgungen nicht aufhören werden, u. a. weil die Zentralregierung gegenüber den Behörden in den Provinzen keine Autorität hat, weil diese, wenn es ihnen nicht passt, den Befehlen aus Konstantinopel nicht nachkommen, und - last not least - weil die Deutschen ihrer Meinung nach in Wirklichkeit nur der Form halber gegen die Verfolgungen und Morde protestieren.

Es ist offensichtlich, sagen sie, dass die Deutschen an der Ausrottung der Armenier interessiert sind und dass die Griechen flüchten aus Angst, es könne ihnen ebenso ergehen, so dass sie (die Deutschen) sich ohne Mühe des türkischen Handels bemächtigen können und die einzigen Europäer sind, die hier Fuß gefasst haben.

Die Behörden in den Provinzen und die Jungtürken, sagen sie, sehen deshalb die Eingabe des deutschen Botschafters an die Regierung als nicht ernsthaft an.

Ich darf mir erlauben, in Kürze die wichtigen und traurigen Berichte über die neuesten Geschehnisse, die mir von völlig zuverlässiger Quelle zugetragen wurden, zusammenzufassen. Sie sind von einer solchen Beschaffenheit, dass sie überall in der christlichen Welt Bestürzung hervorrufen werden.

Die Türken führen mit aller Macht ihr grausames Ziel durch, das armenische Volk auszumerzen.

In Brussa haben sie die gut betuchten Armenier dazu gezwungen, der Polizei 300 türkische Pfund (ca. 5.000,- dkr) pro Person zu bezahlen, um in der Stadt bleiben zu dürfen, und doch wurden sie am Tag danach mit ihren Frauen und Kindern ausgewiesen.

Wo diese unglücklichen Menschen sich jetzt befinden und welchem Schicksal sie ausgesetzt gewesen sind, nachdem sie ihr Heim verlassen mussten, erfahren selbst die nächsten Angehörigen nicht.

In Adana hat der Gouverneur eine Proklamation aushängen lassen, die ich in einer Übersetzung auf Französisch vom Patriarchen bekommen habe, und die lautet:


In einem hier empfangenen Brief des Bischofs von Erzerum, Monseigneur Melchisédéchian, wird erzählt, dass der Pfarrbezirk Khodirthchour, der aus 12 Dörfern besteht, vollständig evakuiert worden ist, und dass man nichts darüber weiß, was mit der verschwundenen Bevölkerung passiert ist.

Derselbe Prälat berichtete am 17. Juli diesen Jahres, dass er selbst ebenfalls gezwungen worden war, sich an einen unbestimmten Ort zu begeben. Seitdem ist nichts mehr von ihm gehört worden.

Der frühere Bischof desselben Bezirks, Monseigneur Ketchourian, begab sich gleichzeitig auf eine Reise nach Konstantinopel, verschwand aber unterwegs.

Der Bischof in Karput [Harput; Kharpert], Monseigneur Israëlian, meldete am 23. Juni dem Patriarchat, er habe den Befehl erhalten, innerhalb von 48 Stunden mit seiner gesamten Pfarrgemeinde die Stadt zu verlassen, um sich nach Aleppo zu begeben. Später wurde bekannt, dass dieser Bischof und alle Geistlichen, die ihn begleiteten, zwischen Diarbekir und Urfa überfallen und getötet wurden an einem Ort, an dem auch ca. 1700 armenische Familien das gleiche Schicksal erlitten hatten.

Die gesamte Bevölkerung der genannten Gemeinde muss als verloren betrachtet werden.

Die Bevölkerung in den Pfarrgemeinden Diarbekir und Malatia ist ebenfalls aus ihren Dörfern vertrieben worden, und niemand weiß, was aus den Bischöfen Tchélébian und Khatchadourian und deren Gemeinden geworden ist.

Auch ist die traurige Nachricht bestätigt worden, dass der Erzbischof von Mardin, Monseigneur Maloyan, und ca. 700 Katholiken seiner Gemeinde getötet worden sind, und dass die Bevölkerung in der Stadt Tallermen, die ausschließlich katholisch war, völlig ausgerottet worden ist.

Es gibt keine Nachrichten darüber, was aus dem Bischof in Mouch, Monseigneur Topuzian, und seiner Gemeinde geworden ist, aber man hat Grund anzunehmen, dass auch sie umgebracht worden sind.

Man befürchtet, dass den Geistlichen der Gemeinde Gurin das gleiche Schicksal widerfahren ist.

In der Gemeinde Sivas ist nur das Dorf Pirkinik verschont worden, wo der Erzbischof, Monseigneur Ketchedjian, Zuflucht gesucht hat. Er und ein ihn begleitender Geistlicher sind die einzigen Überlebenden.

Trebisond, Samson, [unlesbar], Marsivan und Amassia sind vollständig evakuiert worden, und es ist unbekannt, was aus den 47 Geistlichen dieser Städte geworden ist.

Tarsus, Hedzin und Mersina haben dasselbe Schicksal erlitten.

In Angora sind alle Männer aus der Stadt geführt worden, und die Frauen wurden gezwungen sich mit Muslimen zu verheiraten; ca. 6000 Männer, ca. 70 Geistliche und der Bischof, Monseigneur Grégoire Bahaban, wurden auf dem Weg zu dem Ort ihrer Verbannung erschossen.

In der Stadt Ismid hat die Regierung den Befehl erteilt, dass die nach Eskicheir verbannten armenischen Katholiken in ihre Heimat zurückkehren dürften, aber der Gouverneur wollte sie nicht in die Stadt lassen und schickte sie zurück. Dasselbe geschah an anderen Orten.

Selbst hier in Konstantinopel schickt man Armenier nach Asien, ohne dass es möglich ist zu erfahren, wo sie geblieben sind.

Das Patriarchat hat ausgerechnet, dass die Hälfte der armenisch-katholischen Hierarchie verloren gegangen ist; 7 Bischöfe, ca. 100 Pfarrer, 70 andere Geistliche und Tausende und Abertausende ihrer Gemeinden sind verschwunden.

Die Pfarrgemeinden bestanden früher aus 16 Bezirken (Konstantinopel, Mardin, Diarbekir, Karput, Malatia, Sivas-Tokat, Mouch [Musch], Erzerum, Trebisond [Trapezunt], Angora, Césarée [Kaisarie], Brussa, Adana, Marasch, Aleppo und Alexandrie [Alexandrette]), und von diesen sind nach den letzten Informationen, abgesehen von Konstantinopel, nur Marasch, Aleppo und Césarée bis jetzt verschont geblieben.

Das Schicksal, das die katholischen Armenier ereilt hat, ist mit noch größerer Grausamkeit allen anderen Armeniern widerfahren, da es das Ziel der Regierung ist, wie ich bereits die Ehre hatte zu berichten, das armenische Volk vollständig auszurotten.

Mit vorzüglicher Hochachtung verbleibe ich, Herr Minister, Ihr ergebenster


Wandel



Copyright © 2006-2024 Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved